THE IRISHMAN und die Sache mit den Vorschusslorbeeren | ELMARS HOLLYWOOD

 

Netflix hat es wieder getan. Netflix hat wieder einen Netflix-Film ins Kino gebracht. THE IRISHMAN. Martin Scorseses episches Werk über das Leben und Schaffen des Mafiakillers Frank „The Irishman“ Sheeran. Ein epochales Werk über eine sehr spezielle Art und Auffassung von Männerfreundschaften. Und Männerehre. Mit drei der größten Stars: Robert De Niro. Al Pacino. Und – nach langem Überreden – Joe Pesci. Langersehnt. Und vor allem mit ganz, ganz viel Vorschusslorbeeren bedacht. Aber auch zu Recht? Wird dadurch die Erwartungslatte an den Dreieinhalb-Stunden-Film nicht vielleicht so hoch gelegt, dass sie am Ende gar kein Regisseur, gar kein Schauspieler und gar kein noch so eingefleischter Film-Fan mehr zu überspringen vermag? Hören wir doch einfach mal Elmar zu …

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Stephan Temp: Portätbild

So paradox es auch klingt: Rettet Netflix vielleicht gerade das Kino?

Zwei Bedingungen hatte Martin Scorsese, bevor er sich mit Netflix für THE IRISHMAN an den Tisch setzte. Die in diesem Fall wichtigste: Der Film müsse auf jeden Fall ins Kino kommen. Am 14.11.2019 kommt er ins Kino. Zwar nur in wenige. Und teilweise auch nur in Kinos, deren Namen beziehungsweise Existenzen mir bislang noch gar nicht bekannt waren. Aber er kommt. Ich will mal so sagen: Der Film wäre sowieso ins Kino gekommen – auch, wenn Scorsese es sich nicht ausdrücklich gewünscht hätte. Denn so hat Netflix wieder mal alle Karten in der Hand, um bei dem Preis-Poker in der anstehenden Award Season am Ende mit einem Full House dazustehen.

THE IRISHMAN: Interview mit Martin Scorsese

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Schade nur, dass die großen Kinos mit den großen Leinwänden wieder mal gekniffen haben. Oder sich nicht aus dem Schwitzkasten der großen Verleiher und „altehrwürdigen“ (Betonung auf „alt“) Major Studios befreien konnten. Oder wollten. Netflix-Filme im Kino … da hat man manchmal das Gefühl, als würde man nach etwas Verbotenem fragen, das – psssssst! – nur unter der Ladentheke gehandelt wird. Ich kann mich noch sehr gut an eine der raren Vorführungen von ROMA erinnern, den ich insgesamt drei Mal im Kino (und nicht einmal im Streaming … sorry, Netflix) gesehen habe. Beim letzten Mal im Babylon. In Berlin. Da standen eine Menge Kenner und Könner mit in der Reihe vor der Kinokasse – allesamt bekannte Namen der Berliner Schauspielszene. Und allesamt mit glücklichen Gesichtern. Dem mitunter etwas in Vergessenheit geratenen Ausdruck der Lust aufs Kino.

THE IRISHMAN: Interview mit Robert De Niro

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Die andere Seite, die Kehrseite der Medaille, habe ich aber auch schon erlebt. Miterlebt. Vor kurzem. Bei der Pressevorführung von THE IRISHMAN. Ich petze hier nicht. Und ich nenne auch keinen Namen. Aber wenn man zufällig zuhört, wie jemand mit vollem Ernst die Frage stellt, warum Netflix denn aus THE IRISHMAN nicht eine sechsteilige Serie gemacht habe, weil ein dreieinhalbstündiger Film ja schon etwas aus der Zeit gefallen und fast auch schon so etwas wie eine Zumutung sei, wundert man sich dann doch. Nämlich, warum sich der geneigte Kollege dann überhaupt an diesem Abend ins Kino gequält und nicht bis zum 27.11.2019 gewartet hat – dem Datum, ab dem er THE IRISHMAN auf Netflix ganz bequem auf dem heimischen Sofa und (per Stopptaste) in jeder ihm beliebigen Stückelung hätte „genießen“ können. Wenn das dann für ihn ein Genuss ist.

THE IRISHMAN: Interview mit Al Pacino

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Am Ende seines Videos stellt Elmar übrigens zwei Fragen in den Raum: „Ist der Film – wie man hier sagt – ‚The Last Hooray’ einer Gruppe alter Männer, die es noch einmal richtig wissen wollten? Weil sie im Hinterkopf haben, dass das Ende ihrer Karriere, vielleicht auch ihres Lebens, in absehbarer Zukunft liegt? Oder ist THE IRISHMAN ein krönendes Alterswerk, die triumphale Team-Leistung von wahren Meistern in der Kunst des Filmemachens?“

Ich wage mal, ganz mutig zu sagen: Weder noch. Warum? Alterswerk. Krönung. Klingt mir persönlich viel zu viel nach Abschied. Nach Lifetime Award. Diesem hinter einer funkelnden Trophäe versteckten Schlussstrich. Diesem „Bye-bye, war schön mit dir!“ Auch wenn es manchmal nur als Zwischensumme gedacht ist. So oder so steckt da immer das Wörtchen „final“ drin. Aber vielleicht verabschieden wir mit THE IRISHMAN ja überhaupt nichts? Vielleicht begrüßen wir ja auch etwas. Den neuen Mut in Hollywood. Die neue Sehnsucht nach Größe. Die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Vielleicht ist das, was Netflix im letzten Jahr mit ROMA begonnen hat und jetzt mit THE IRISHMAN fortsetzt, der größte Segen, der dem Kino unserer Tage widerfahren kann. Verrückt? Ein „Disruptor“, der das wieder ganz macht, was er angeblich zerstört? Warum nicht? Trägt Hollywood nicht den Beinamen „Traumfabrik“? Da sollte so etwas doch möglich sein. Also meine Vorschusslorbeeren könnt ihr schon mal haben.

Filminfos:

THE IRISHMAN
Originaltitel: The Irishman
Genre: Thriller, Biografie
Darsteller: Robert De Niro, Al Pacino, Joe Pesci, Harvey Keitel, Bobby Cannavale, Anna Paquin
Regie: Martin Scorsese
Kinostart: 14.11.2019 (nur in ausgewählten Kinos)
Streambar ab: 27.11.2019 bei Netflix

 

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