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Tarantino – Genie oder Wahnsinn?

Gerade einmal neun Filme hat Quentin Jerome Tarantino, der seinen Namen einer Figur aus einer Westernserie verdankt, auf seinem Konto zu verbuchen. Und allesamt werden sie noch immer gefeiert wie keine anderen.

 

Quentin Tarantino: Learning by … watching?

Tarantino war weder an einer Filmhochschule noch jobbte er an einem Filmset. Er hat also nie auf klassische Weise gelernt, wie man einen Film macht. Wo seine Karriere begann? Zwischen staubigen Regalen eines piefigen VHS-Archivs in Manhattan Beach. Dort konnte er seiner Leidenschaft exzessiv nachgehen: Filme gucken. Bis zum Erbrechen. Oder eben bis zu dem Moment, in dem er der Überzeugung war, seine eigenen Filme drehen zu können.

Das klingt ein wenig absurd, aber dann doch wieder nicht. Kurze Anekdote: In den 1990ern besaß mein Vater alle Bruce-Lee-Filme auf VHS. Mein großer Bruder hat sie v-e-r-s-c-h-l-u-n-g-e-n. Wann immer er konnte, saß er vor dem Fernseher und glotzte Kung Fu. Irgendwann kam ich nach Hause und wurde mit einem Kampfschrei à la „oaoaaaahhhh hatttoaaaaaaa“ aus dem Hinterhalt (er war auf die Tür geklettert) mit einem Pseudo-Karate-Move ausgeknockt. Er war nach seinem pathologischen Bruce-Lee-Konsum der festen Überzeugung, nun auch Karatekrieger zu sein. So ging es dann, bis er mir mit einem Bō beziehungsweise Kung-Fu-(Besenstiel-)Stock so fies in den Bauch stieß, dass sich eine alte OP-Narbe öffnete und ich ins Krankenhaus musste. Ja, Leute, die 90er waren hart.

RESERVOIR DOGS – WILDE HUNDE: Kult seit 1992

27 Jahre ist es nun her, seit Tarantino mit RESERVOIR DOGS – WILDE HUNDE in die Filmwelt kam, sah und siegte. Das ist ein ganzes Leben zum jungen Erwachsenenalter. Und diese jungen Erwachsenen feiern den Debütfilm heute wie die Leute damals.

Wer diese Zeilen liest, dem muss ich nichts weiter aus Quentin Tarantinos Biografie erzählen. Ich habe alles heruntergeschrieben und soeben wieder gelöscht. Denn darum soll es nicht gehen. Alles hat seinen Ursprung. Dem will ich aber gar nicht auf den Grund gehen. Ich frage mich nur: Ist Tarantino – wie viele sagen – ein Wahnsinniger oder aber ein Genie? Und was macht ihn zu dem einen oder anderen? Mir stellt sich also weniger die Frage nach dem Ursprung, sondern vielmehr nach dem Status.

Ich kann mich noch daran erinnern, als ich meinen ersten Tarantino-Film sah. Es war nicht RESERVOIR DOGS, der kam erst später für mich. Es war KILL BILL. Die komplette DVD-Reihe bekam ich von Malte aus Duisburg-Neumühl. Wir waren Freunde und dann zog ich weg. Und mit mir seine geliebte KILL BILL-Sammlung. Falls du das hier liest: sorry.

Quentin Tarantino: ein unkonventioneller Typografen-Alptraum

Was mich damals aus dem Konzept brachte, waren diese Schrifteinblendungen in seinen Filmen. Es wirkte, als hätte ein naiver Tarantino-Bengel wahllos in seiner Typo-Sammlung herumgekramt und einen Comic in die reale Welt übertragen.
Diese Einblendungen … ich dachte erst, er verarsche irgendwen. Dann stellte ich fest: DIESER TYP MEINT DAS TOTAL ERNST! Und ich bin mir sicher: So mancher Typograf spürt jedes Mal, wie sich diese disharmonischen Schriften auf seinem inneren ästhetischen Auge wie quietschende Kreide anfühlen. In Verbindung mit der Song- und Sound-Auswahl in einigen Szenen kann man diese Filme entweder als alleinstehende, daseinsberechtigte Bewegtbildwerke akzeptieren – oder man hasst sie, Tarantino und schließlich auch sich selbst.
Denn egal, ob man diesen Stil mag oder nicht. Tarantino-Filme bleiben im Kopf. Und vor allem die Gefühle, die dabei ausgelöst werden. Denn Quentin Tarantino macht unkonventionelle Filme. Er übertreibt, reizt aus und unterhält.

Quentin Tarantino: Super-Nerd mit Wörterbucheintrag

Vor kurzem durfte ich Quentin Tarantino live während der Pressekonferenz zu ONCE UPON A TIME IN … HOLLYWOOD in Berlin erleben und stellte fest: Dieser Mann macht seine Filme so, wie er spricht. Setzt immer eine Schippe drauf. Ist übergenau. Erzählt mehrere Handlungsstränge gleichzeitig. Etwas wirr, mit viel Humor und Ironie. Und tut all dies mit einer enormen Selbstüberzeugung. Die teilweise vielleicht arrogant oder besserwisserisch wirken mag, aber vor allen Dingen grenzenlose Leidenschaft für das zeigt, was er tut.

Tarantino ist ein Super-Nerd, der sich irgendwann dazu entschlossen hat, aus all seinen Lieblingsfilmen eigene Filme zu schaffen. Er ist quasi Frankenstein und seine Filme seine Monster. Das ist sein Stil. „Tarantinoesque“, sozusagen. Wusstet ihr, dass dieses Wort mittlerweile sogar im Wörterbuch steht? Oh, Mann … dieser Typ hat sowas von Geschichte geschrieben!

„I steal from every single movie ever made.“ (Quentin Tarantino, 1994; Empire Magazine)

Aber kommen wir noch mal zurück zu meiner Frankenstein-Theorie. Mein Professor hat schon immer gesagt, dass gute Ideen aus Ideen anderer entstünden. Und dies scheint Tarantinos Credo zu sein. Wie er selbst in mehreren Interviews bestätigt hat, übernimmt er viele Szenen aus seinen Lieblingsfilmen und baut sie teilweise eins zu eins in seine ein.

Tarantinos Filmpasteten

Das macht Tarantino in seinen Filmen. Er backt Filmpasteten. Der Fachbegriff lautet Pastiche und bedeutet so viel wie „Hommage durch Imitation“. Wie einleitend beschrieben, lernte Tarantino sein Handwerk durchs Filmeschauen. Er imitierte ganze Szenen und adaptierte sie in seine eigenen Erzählungen. Und mit jedem Film huldigte er einem anderen Genre, das ihn fasziniert und geprägt hat.
(Spoiler-Alarm??? Vielleicht ein bisschen …)

Tarantino bezeichnet ONCE UPON A TIME IN … HOLLYWOOD als seinen bislang persönlichsten Film. Ich glaube, das liegt daran, dass er darin ein Thema aufarbeitet, das ihn lange Zeit intensiv beschäftigt hat, und ihm sein eigenes Ende verleiht.

Tarantino: Imitation vs. Inspiration vs. Hommage

Ich habe mal zusammengetragen, was Tarantino so zum Klauen (wie er selbst sagt) inspiriert hat:

  • Die letzten 20 Minuten seines Debütfilms RESERVOIR DOGS sind von CITY ON FIRE geklaut.
  • JACKIE BROWN wurde inspiriert von FOXY BROWN aus dem Jahr 1974.
  • LADY SNOWBLOOD aus dem Jahr 1973 diente als Vorlage für KILL BILL.
  • INGLORIOUS BASTERDS basiert auf THE DIRTY DOZEN von 1967.
  • Die berühmte Tanzszene aus PULP FICTION? Inspiriert von einer Szene aus ACHTEINHALB aus dem Jahr 1963.
  • Und die „Licht-im-Koffer-Idee“? Gab es schon 1955 in KISS ME DEADLY.
  • Sogar eine Szene aus Hitchcocks PSYCHO ist in PULP FICTION zu sehen.

So manch ein Fan würde jetzt behaupten, es handele sich hier um Hommages. Tarantino selbst sagte aber einmal:
„Great Artist steal, they don’t do homages.“

Und auch Pablo Picasso behauptete etwas Ähnliches. Nämlich:
„Good artists copy, great artists steal.“

Was soll dieses Geklaue? Und ist es wirklich Klauen, wenn Tarantino den Beklauten selbst auf den ersten Seiten seiner Drehbücher Widmungen schreibt?

Am 11. November 2018 (so erzählt Tarantino in seinen Interviews) sagte Ennio Morricone:
„Quentin Tarantino only steals from others.“

Quentin Tarantino: ein Wahnsinns-Genie

Und wisst ihr was? DAS ist das Großartigste überhaupt. Denn das Rad kann man nicht neu erfinden, aber seinem eigenen Geschmack nach optimieren. Und nur, weil wir Menschen an Konventionen glauben, sticht so ein Quentin Tarantino aus der Masse heraus.

Ich glaube nicht, dass er ein Wahnsinniger ist. Ich glaube auch nicht, dass er ein Genie ist. Ich denke, er macht einfach das, worauf er Bock hat. Wahrscheinlich ist er einer der wenigen oder sogar der einzige Filmemacher auf der Welt, der seine Filme in erster Linie für sich macht. Wie simpel und doch so beeindruckend.

Sou Boujloud

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