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„Ich hab’ einen Film geschaut. Ich muss hier weg!“

Filme faszinieren uns. Ich sage „uns“, weil ich davon ausgehe, dass jeder, der das hier liest, diese Faszination mit mir teilt. Film bedeutet, in andere Welten einzutauchen. Welten, an die wir uns manchmal wegwünschen würden. Und viele dieser Welten davon werden in Studios kreiert. Also keine Chance, dieses „Sich-weg-Wünschen“ in die Realität umzusetzen. Aber natürlich gibt es auch echte Kulissen, die jedem Menschen zugänglich sind. Und solche Filme sind mittlerweile wie Travelguides.

Zum ersten Mal hatte ich den Wunsch, an einen dieser Filmorte zu reisen, als ich den Aussteigerfilm THE BEACH mit Leonardo DiCaprio sah. Ich meine, wow! Wie cool wäre es denn, auf solch einer wunderschönen Insel abzuhängen?! Als bekannt wurde, dass es sich bei besagter Insel um Maya Bay in Thailand handelt, war mein erster Impuls: „Oh, da muss ich unbedingt mal hin!“ Bis heute war ich nicht dort. Und offensichtlich wird es auch nicht mehr dazu kommen.

„Filmtourism is a thing“

Es gibt Menschen, die planen ihre Reisen nach Filmen und Serien. Und das nicht nur seit GAME OF THRONES und DER HERR DER RINGE. Die blaue Tür aus NOTTING HILL war eine kleine Sensation, das Haus aus BREAKING BAD wird ständig mit Pizza beworfen. Die Liste ist lang. Und die Liste der Menschen, die darunter leiden, ebenfalls. Immerhin wohnen dort echte Menschen. Stellt euch mal vor, ihr müsstet jeden Tag Pizza von eurem Dach kratzen …

Kurze Anekdote aus meinem Leben: Mit Mitte 20 arbeitete ich beim Film. „Heiter bis wolkig“ mit Elyas M’Barek, Jessica Schwarz und Max Riemelt. Drehort war hauptsächlich Köln. In echten Wohnungen und auf der Straße. Während eines Nachtdrehs nahe des Brüsseler Platzes im Belgischen Viertel (ein übrigens sehr beliebtes Filmdreh-Viertel) mussten wir eine laute Streitszene immer und immer wieder drehen. Na ja, irgendwann entleerte ein Anwohner aus dem obersten Stock einen Eimer Wasser über uns. Es war Winter.

Und es gibt sogar Menschen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, zu Filmkulissen zu reisen. Ein sehr sympathisches, kreatives und schönes Beispiel ist diese Lady hier: https://www.filmtourismus.de.

Bücher machen Kino im Kopf

Übrigens, ich tippe gerade diese Zeilen, während ich in einem Café mit Blick auf die Adria sitze und einen Cappuccino trinke. Hier endet meine kleine Italien-Aha-Erlebnisreise. Denn der Grund, dass ich überhaupt in Italien bin, liegt an einem Buch, das ich letzten Winter gelesen habe. Ein Teil der Geschichte spielt nämlich in Ravello an der Amalfi-Küste. Ich kannte diesen Ort vorher nicht, aber googelt ihn mal! Habt ihr? Gut, denn dann muss ich die Schönheit dieses Orts nicht weiter beschreiben.

Nun denn, Tickets gebucht und ab nach Neapel. Und wie es der Zufall so wollte, konnte ich gleich eine Verbindung zu meinem Job herstellen: In Neapel wurde unter anderem EAT PRAY LOVE gedreht. Ein mittlerweile etwas älterer, aber nicht weniger aktueller Film, wenn es um Selbstfindung geht.

Und weil ich das Nützliche gerne mit dem Vergnüglichen verbinde, besuche ich also die Pizzeria Da Michele, in der Julia Roberts entschied, auf Kalorien zu sch***. Was soll ich sagen? Pizza gab es für mich keine. Nur einen überfüllten Eingangsbereich und eine Wartezeit von zwei Stunden minimum. Ehh, sorry. Ciao!

DAMICHELE

Die Buchung einer erschwinglichen Unterkunft in Ravello erwies sich als ebenso schwierig, wie ein Stückchen Pizza von Michele zu bekommen. Im Nachbarörtchen Scala war es schon einfacher. Dass Scala auf Ravello ausgerichtet ist, wurde mir erst später bewusst.

Erwartungen vs. Realität

Ravello, yay! Die Freude darüber, dass ich zum ersten Mal in dieses Örtchen reisen würde, von dem ich durch diesen zufällig gewählten Roman so wundervolle Eindrücke hatte, war unbeschreiblich. Ich freute mich darauf, die Kirchtreppe zu sehen, die in der Geschichte so wichtig war. Ich wollte durch das Örtchen schlendern und gedanklich meine Lieblingsszenen durchspielen. Ich wollte nach einer Bäckerei Ausschau halten und die blauen Fensterläden der Wohnung darüber sehen.

Wie bescheuert bin ich eigentlich?! Ravello ist lange nicht mehr das, was es vielleicht einmal war. Der gesamte Ort wirkt wie eine Touristenattraktion. Die Seele dieses Örtchens ist längst gestorben. Die alten Gemäuer beheimaten Souvenir-Shops und pseudo-traditionelle Restaurants, die fades Risotto für h-o-r-r-e-n-d-e (welch theatralisches Wort) Preise anbieten. Wohnen da überhaupt noch Menschen? Zumindest ist die Aussicht, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Wie gut, dass das Meer noch immer stärker als der Mensch ist.

Mit einem desillusionierten Gefühl im Bauch geht die Reise weiter ins Landesinnere: Matera, eine historische Stadt, in der biblische Filme und zuletzt WONDER WOMAN (2017) gedreht wurden. Meine Gastgeberin erzählt mir vorher noch, dass die Menschen in Matera ihre Behausungen in die Felsen gruben. Und mit jedem Zuwachs grub man einen Raum tiefer ins Gestein. Ha, ha, irgendwie cool.

Seit 2019 gilt Matera als UNESCO-Weltkulturerbe. Auf dem Weg dorthin bereite ich mich also auf die nächste desillusionierende Enttäuschung vor. Aber ich scheine noch vor dem Ultrahype da zu sein. Touristen: ja. Relativ viele sogar. Aber der Ort hat sich bis jetzt noch eine gewisse Authentizität gewahrt. Das erkennt man nicht zuletzt an den Preisen für Essen und Trinken, sondern auch an den sehr wenigen Souvenir-Shops. Bitte, lass es so bleiben!

Materea

(Film-)Tourismus hilft und killt

Tourismus bedeutet immer Geld. Und dieses Geld hilft natürlich da, wo Arbeit knapp ist. Das ist großartig. Aber wie alles hat es auch seine Schattenseiten. Denn Aufmerksamkeit ist nicht in allen Lebensbereichen zwingend etwas Positives.

Der Strand der Maya Bay entwickelte sich mit 5.000 Besuchern am Tag zum Touristenmagneten. Die Folgen: Geld und Zerstörung. Die Korallenriffs mussten einiges erleiden. Deshalb bleibt der Strand seit Oktober 2018 bis auf Weiteres für Touristen geschlossen.

Die Pizzeria in Neapel trägt einen Michelin-Stern und ist sicherlich ihr Geld wert. Aber durch den Andrang und die daraus resultierende Umgangsweise ultra unsexy und nicht, wie man sich einen Besuch einer italienischen Pizzeria vorstellt. Ravello ist wie eine hübsche, aber längst totgemachte Puppe. Matera könnte es vielleicht besser machen.

Mein (vorläufiges) Fazit

Orte zu besuchen, an denen beeindruckende Filmszenen gedreht wurden, kann aufregend sein. Man muss sich aber auch bewusst darüber sein, dass die Realität niemals auch nur ansatzweise an die eigene Vorstellung herankommt. Oder vielleicht sehr selten. Ich für meinen Teil werde in Zukunft vielleicht etwas vorsichtiger mit diesem Drang umgehen. Denn so, wie ein Gesicht, sind die Dinge aus der Ferne oftmals schöner.

Sou Boujloud

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1 Kommentar
  1. Arne Kommentar

    Hallo, das ist ja echt ernüchternd…Aber leider ist die Region echt ziemlich überlaufen. Ich war mehrmals in der Nebensaison da und dann geht’s. Mein Filmerlebnis in Neapel: Die Wachlowski-Sisters waren auf Site Inspection in der Unterkunft, die ich damals für einen Bekannten verwaltet habe (Palazzo Mariglano). Und ein Jahr später habe ich dann das Gebäude und die Umgebung in der Serie “Sense 8” gesehen. Ich war also Filmtourist wider Willen und vor allen anderen…
    Grüße, Arne (PS: wir machen Filmtouren in Berlin zu “Babylon Berlin”. Und sind an Orten wo sonst kaum Touristen sind…

 

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