Hollywood singt: „Georgia … no longer … On My Mind“ | ELMARS HOLLYWOOD

America first. Alte, weiße Männer first. Ewiggestrige first. (Ur)alte Denke first. Denkste. So läuft das nicht mehr! Das müsste doch langsam allen klar sein. Spätestens seit #MeToo. Reaktionäres provoziert Reaktionen. Das muss der US-Bundesstaat Georgia gerade lernen. Da will man das Rad zurückdrehen. Abtreibungen verbieten. Den Frauen Rechte nehmen. Aber was Georgia kann, kann Hollywood auch: das Rad zurückdrehen. Mit einem Boykott drohen.
Warum, weshalb, weswegen? Inwiefern? Elmar Biebl fasst die Lage und Fakten über den Aufruhr unter den Filmschaffenden, Produzenten, Studios, Sendern und Streaming-Plattformen zusammen. Und erklärt, warum ein Jazz-Klassiker und State-Song nach Meinung eines Gutteils der Hollywood-Gemeinde allenfalls noch in dieser Version gesungen werden sollte: „Georgia … no longer … On My Mind“.

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Stephan Temp: Portätbild

 

Hashtag Georgiafilm: Wie gewonnen, so zerronnen?

Es lief gerade so gut. Georgia, das war bis vor noch gar nicht allzu langer Zeit Farmland. Und Berge. Und Strände. Die Heimat von Ex-Präsident Jimmy Carter. Erzeuger von Erdnüssen. Und Pfirsichen – was dem Staat den mehr oder weniger begehrenswerten Beinamen Peach State einbrachte. Dann hatte einer die segensreiche Idee zu Steuererleichterungen und Wirtschaftsförderungsmodellen und schwupp war Georgia – zwar nicht über Nacht, aber doch ziemlich schnell – auch einer der führenden Produktionsstandorte für TV-Serien und Filme. Hashtag Georgiafilm drängte den Spitznamen Pfirsichstaat zunehmend in die Ecke.
Aber dann kam die Sache mit den Anti-Abtreibungsgesetzen. Und spätestens jetzt zeigte sich, dass die Filmleute doch einen ganzen Zacken liberaler und progressiver ticken als die tief in ihrer Südstaaten-Tradition verwurzelten Farmer und Landbewohner. Seitdem stehen die Zeichen bei den Banken und Wirtschaftsförderern auf Sturm. Filmstars und Produzenten – so zeigt sich – können auch Politik. Nämlich dann, wenn es um die Wahrung der eigenen Interessen und Werte geht. Aus Hashtag Georgiafilm ist Hashtag BoycottGeorgia geworden.

Hollywood soll sich aus Politik raushalten! Wo steht das geschrieben?

Unpolitisch war Hollywood eigentlich nie. Es gab immer schon politische Filme. Filme über Bürgerrechtler. SELMA etwa. Über das Schaffen von Martin Luther King. Über Menschenrechte. 12 YEARS A SLAVE zum Beispiel. Oder MILK. Über gesellschaftliche Missstände. Wie Kathryn Bigelows DETROIT. Oder welche über die Schweinereien der Großen und deren Entlarvungen – wie in DIE UNBESTECHLICHEN (OT: ALL THE PRESIDENT’S MEN). Oder nachträgliche Demaskierungen wie in FROST/NIXON.
Manche dokumentierten das Vordergründige; manche erzählten das Subtile, das Unterschwellige, das Heimliche. Eines hatten sie allerdings alle gemeinsam: Früher musste meistens erst das Gras der Geschichte über das Unglaubliche, das Unfassbare, das Schwerverdauliche wachsen, bevor sich Hollywood aus der Deckung wagte und die Öffentlichkeit auf der Leinwand mit der Wahrheit konfrontierte. Es war also stets mehr Aufklärung als Protest oder gar aktiver Widerstand. Mag sein, dass dem einen oder anderen Entscheider in den gut gepolsterten Ledersesseln der Studios auch bei der bloßen Erinnerung an die McCarthy-Ära in solchen Fällen plötzlich der Hemdkragen unangenehm eng wurde.

Wie es aussieht, sind diese Zeiten vorbei. In der Filmbranche sprechen viele heute laut und deutlich Sachen aus, die sie nicht erst zuvor in einem Drehbuch gelesen und auswendig gelernt haben. Mut gemacht haben ihnen dabei Menschen wie Harvey Weinstein – wenn auch sicher nicht in dem Sinn, wir er sich das vielleicht gedacht haben mag. #MeToo. #OscarsSoWhite. Und jetzt #BoycottGeorgia.

Ob das gleich den erwünschten Effekt erzielt? Vielleicht noch nicht immer. Aber immer öfter. Und Erfolg macht mutig.

Wir wollen hier nicht ZU politisch werden und sind ja eigentlich auch ein Filmportal. Aber beeindruckt hat uns dann schon, dass vor wenigen Tagen über 30 Filmemacher und Schauspieler aus dem ganz weit westlichen Kalifornien an die Einwohner des ganz weit östlichen Görlitz – als Filmlocation längst von Hollywood ins Herz geschlossen (unter anderem INGLORIOUS BASTERDS, GRAND BUDAPEST HOTEL, MONUMENTS MEN, WERK OHNE AUTOR) – appellierten, „weise zu wählen“ und nicht leichtfertig den einen so wichtigen Wirtschaftsfaktor ihrer Stadt aufs Spiel zu setzen. Als die Stimmen am 16.6.2019 schließlich ausgezählt waren, stand fest: Die „Alternative für Deutschland“ war dann wohl doch nicht die alleinige Option für die Görlitzer Wähler.

Was das mit dem offenen Brief aus Hollywood zu tun hat? Wissen wir auch nicht. Aber: Solche Erfolge machen mutig. Für mehr. Und: Georgia ist überall.

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