Film oder Spiel? | UNVERBLÜMT

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Sou Boujloud: Profilbild
Film oder Spiel?

Vor 131 Jahren entstand das Produkt, welches heute als erster Film der Geschichte gilt. Genauer: Am 14. Oktober 1888 gelang dem Franzosen Louis Le Prince das, woran bereits parallel zu ihm viele andere tüftelten. Nämlich, Bilder in Bewegung zu bringen. Dies basierte auf dem Prinzip des stroboskopischen Effekts.

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Es folgten der Stummfilm, Farbfilm, Tonfilm, Digitalfilm, 3D-Film, und heute reden wir vom INTERAKTIVEN Film. Die Filmgeschichte hat sich in den vergangenen 131 Jahren raaaaasant entwickelt. Während ich mir immer noch gerne die Filme von Charlie Chaplin anschaue, fällt es mir schwer, bei DER WEISSE HAI noch so etwas wie Gruseln oder Ernsthaftigkeit zu empfinden.

Und worüber ich heute besonders lachen muss, aber damals angespannt vor dem Fernseher saß, war diese Dinosaurierserie, die in den 90ern auf RTL lief. Ich glaube, sie trug den Titel IM LAND DER SAURIER. Im Vorspann sieht man einen Vater mit seinen beiden Kindern in einem gelben Schlauchboot einen wilden Fluss herabtreiben. Die Stromschnellen sind so stark, dass sie sich aus dem verhängnisvollen Strudel nicht retten können und in ein tiefes Loch herabstürzen. Sie finden sich wieder: IM LAND DER SAURIER. Und da geht das Abenteuer los: Ein Tyrannosaurus rex jagt die Familie, und jedes Mal war ich nervlich ein völliges Wrack, wenn das geschah.

Heute finde ich Ausschnitte dieser Serie im Internet und schüttele lachend und ungläubig mit dem Kopf. Filmtechnisch sind wir so unsagbar weit gekommen. Wir können nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Orte, Lebewesen und ganze Welten werden mittels hochqualitativer Technik kreiert. Die Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Und es wird immer besser. Der absolute Wahnsinn.

Gleiches gilt für die Welt des Gamings. Habe ich vor wenigen Jahren GTA noch aus der Vogelperspektive gezockt, ist das Spiel heute so ausgereift, dass ich mich in dieser virtuellen Welt bewegen kann. Und deshalb spiele ich es nicht mehr. Mir hat es Spaß gemacht, Leute aus ihren Autos zu reißen, ihre Autos zu kidnappen und „aus Versehen“ über diese Personen zu fahren. Jetzt ist mir das leider zu real, und ich spiele dieses Spiel nur noch in meinem Kopf, während ich im echten Leben durch die Straßen fahre und von anderen Teilnehmern des öffentlichen Verkehrs genervt bin. Falls ihr jemals meine Beifahrer sein solltet: Wenn ich unvermittelt leise Schreigeräusche oder „pffttsch“ mache, dann bin ich in meinem Kopf gerade im GTA-Modus.

Zurück zum Thema: Fortschritt ist unaufhaltsam und toll. Keine Frage. Aber wie die meisten schon wissen, tue ich mich mit gewissen Errungenschaften etwas schwer. Ich trauere noch immer der Primetime nach. Auch finde ich den Gedanken schwierig, Filme durch Interaktion zu beeinflussen.

In Italien traf ich einen Freund. Filmemacher und ein absolutes Genie, was Innovation und Zeitgeist angeht. Auch er produziert interaktive Filme. Mir war bis dahin gar nicht richtig bewusst, welch riesiger Apparat hinter solch einer Produktion steckt. Ich bekam eine Kostprobe seines neuesten Projekts und und ich war mehr als begeistert!

Besagter Freund geht sogar noch einen Schritt weiter. In einer App kann man seinen Film abrufen und, wie in einem Computerspiel, Entscheidungen und Aktionen des Hauptcharakters entscheiden. Ob Schütteln, Swipen oder Tippen: Jede Aktion eröffnet ein Spektrum neuer Szenarien, die den Film geradezu individualisieren. Kennt man schon, hm? Jetzt wird es eine Ecke knackiger: Bewegt man sich selbst, verändert sich auch die Atmosphäre in dem Film. DAS IST SO ABGEFAHREN!

Ich war und bin noch immer begeistert. Vor allem interessiert mich die Produktion hinter dieser neuen Art des Films. Oder Spiels? Die Grenzen verschwimmen ineinander. Immer mehr. Da bekommt der Begriff SPIELfilm doch irgendwie eine völlig neue Bedeutung.

Und das ist mein Problem mit dem Ganzen: Wir wollen alles kontrollieren. Alles mitbestimmen. Wie oft haben wir uns über das Ende eines Films geärgert? Darüber diskutiert, geweint, gelacht und uns etwas anderes gewünscht. Aber insgeheim doch eigentlich auch nicht.

Filme sind Geschichten, die uns JEMAND erzählt. Auf seine Art und Weise. Wer sind wir, dass wir die Aufgaben des Drehbuchautors und Regisseurs übernehmen? Müssen wir denn alles tun – nur, weil es möglich ist? Und nur, weil es eben möglich ist, ist es dann zwangsläufig etwas Gutes? Frisst die Freiheit, eine Geschichte nach eigenem Gusto zu verändern, denn nicht deren Seele auf? Das ist wie Tiefkühlpizza Margherita, die wir uns nach unserem Belieben belegen. Aber wisst ihr was? Die schmeckt nie so gut wie die Pizza unseres Lieblingsitalieners!

Ich befürchte, dass der Sinn des Films verloren geht und wir mit unserer selbstgefälligen Einstellung etwas kaputtmachen könnten. Vielleicht verliert der Wert des Geschichtenerzählens seine Bedeutung. Vielleicht verlieren wir die Fähigkeit, andere Perspektiven zuzulassen. Vielleicht entsteht daraus eine Verrohung, die uns zu hirnlosen, einfältigen Zombies macht, die verlernen, dass die Welt gar keinen Joystick hat.

Vielleicht bewerfen wir uns am Ende wieder mit Stöcken und Steinen und freuen uns über Schattenspiele mit unseren Händen auf Höhlenwänden.

Sou Boujloud

 

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