FANTUM: wie weit darf man gehen? | UNVERBLÜMT

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Sou Boujloud: Profilbild

 

Fantum

 

Neulich auf Instagram: ein halbverzerrter Kopf eines grinsenden Mannes, der durch die Kürze seines Arms zwei Drittel des Handy-Bildschirms einnimmt. Hinter ihm sitzt ein anderer Mann mit zotteligem Haar auf einer Bank. Er schaut ebenfalls in die Kamera. Aber er scheint sich nicht so doll zu freuen wie der Typ, der auf den Auslöser drückt.

Wieso trägt dieser zottelige Mann nur einen Schuh? Und wieso halten alle anderen Menschen um ihn herum ihre Handys auf ihn? Moment! Dieses Gesicht kommt mir doch bekannt vor. Ah, guck mal: das ist doch Keanu Reeves! Eine ziemlich erschöpfte Version von ihm zumindest. Er scheint an einem Flughafen gesichtet worden zu sein. Und schaut man genauer auf dieses Foto, kommt er geradewegs aus der Sicherheitskontrolle, denn der arme Mann hatte nicht einmal die Gelegenheit, sich wieder ordentlich anzuziehen.

Und kennt ihr die Story, in der (ich glaube, sogar zweimal) Keanu Reeves eine nackte Frau in seinem Haus vorfand? Ich meine … was geht in den Köpfen vor sich, dass man a) in das Haus eines anderen Menschen einsteigt und b) sich auch noch nackelig macht. Ist so etwas jemals gutgegangen? Wir sind doch hier nicht bei HOW I MET YOUR MOTHER.

Dazu fällt mir –wie so oft schon- nur ein Gedanke ein: Oh Mann, ey. Diese … Fans.

Jetzt fühlt sich der eine oder andere sicher gekränkt oder beleidigt. Aber lasst mich diesen Ansatz  bitte bis zum Schluss ausführen. Denn ich spreche hier nicht von der allgemeinen unschuldigen Verständlichkeit des Fan-Seins. Ich meine diese für Grenzen erblindete, unsagbar widerliche Selbstverständlichkeit der Übergriffigkeit gewisser Menschen gegenüber „Personen des öffentlichen Lebens“ vor dem scheinheiligen Hintergrund der Wertschätzung. Fuck, Leute! Das funktioniert doch eigentlich anders!

Anders?!

Um dieser Sache auf den Grund zu gehen, werfen wir einen Blick auf die allwissende Quelle, ohne die Referate, Selbstdiagnosen unheilbarer Krankheiten oder journalistisch-wissenschaftlich fundierte Abhandlungen niemals zustande kämen: Wikipedia. <3

Fan; Latein: Fanaticus – von der Gottheit ergriffen, in rasende Begeisterung versetzt; Englisch: fanatic – eifernd, sich rücksichtslos einsetzend, schwärmerisch; ist ein Mensch, der längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für ihn externen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen, abstrakten oder sportlichen Fanobjekt hat und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Ressourcen wie Zeit und/oder Geld investiert. Die Intensität der Anhängerschaft variiert dabei stark.

„Ich würd’ ihm das Gesicht ablecken!“

Das kommt meist aus meinem Mund, wenn mich jemand auf eine potenzielle Begegnung mit Keanu Reeves anspricht. Dass ich im wahren Leben dieser Ankündigung (selbstverständlich) nieeemals nachgehen würde, habe ich bei meiner tatsächlichen Begegnung mit ihm anlässlich des dritten Kapitels von JOHN WICK in diesem Jahr bewiesen.

Es gab sogar einen Moment,  in dem er GENAU und GANZ NAH neben mir stand. Die Frau, die neben mir saß, fragte ihn während der Pressekonferenz nämlich, ob sie ein Foto mit ihm machen könne. Gewissenhaft, wie er ist (deshalb mag ich ihn so), kam er im Anschluss gleich zu ihr und bot das Selfie an. Ihre Reaktion: „Oh, aber mein Mann ist noch nicht da. Geht nicht.“ Ich war kurz davor, anzubieten, dass ich stattdessen ein Foto mit ihm machen würde. Aber da hielt mich etwas zurück, das mich mein Leben lang schon vor solchen Aktionen „bewahrt“: WÜRDE.

Oh what?!

JA! Diese Sache, welche in unserem Grundgesetz als unantastbar gilt: W-Ü-R-D-E! Auch, wenn ich mich jetzt zum Hassobjekt Nummer eins mache, ist es so, dass ich nun einmal eine gewisse Würdelosigkeit dabei empfinde, Menschen dazu zu bringen, mit mir für ein Foto zu posieren. Dabei hätte gerade jemand wie ich unzählige Gelegenheiten dazu, und es wäre sogar förderlich für meinen Job. Und ich lehne es auch nicht kategorisch ab, jedoch unterliegt ein Promi-Selfie gewissen Voraussetzungen wie Situativität, Kontext und – allen voran – Einvernehmlichkeit.

Ich meine, was soll so etwas aussagen? Ein Beweis dafür, dass man diesem Menschen begegnet ist? Ein Erinenrungsstück? Ja, das macht schon mehr Sinn. Aber mich stört daran diese Stereotypisierung. Ein Promi und ein Fan stehen nebeneinander. Einer (meist der Fan) grinst mindestens bis zum Mond und wieder zurück, während der zum Objekt gemachte Promi ein gezwungenes Lächeln vortäuscht.  Im besten Fall heben beide ihre Daumen hoch. Mein Schwager ist ein bekannter Kickbox-Weltmeister. Alle Fotos, die von ihm gemacht werden, sehen gleich aus: Beide heben die Fäuste und grinsen oder verziehen entschlossen das Gesicht. Mittlerweiole gibt es sicherlich tausende solcher Fotos, in denen mein Schwager einfach total gleich aussieht. Dass unsere Familienfotos nicht so aussehen, grenzt an ein Wunder.

Will ich solch ein Foto? Austauschbar und nichts weiter sagend als „Ich habe ihn gesehen und wir passen beide auf ein Foto“?! Aber noch weniger verstehe ich Autogramme! Ja, die Unterschrift eines Individuums ist irgendwie persönlich und weist Charakteristika in ihrer Form auf. Ein persönliches Stück von jemandem also. Und? Was habe ich davon? Einen Staubfänger, genau! Ein handschriftlicher, an mich persönlich gerichteter Brief hingegen wäre von unermesslich emotionalem Wert.

NEULICH

Auf einem Tokio Hotel Konzert. Ja, ich war dort. Aus Gründen. Und ehrlich gesagt, sind sie gar nicht mal so übel. Wie dem auch sei. Ich war dort. Und neben mir stand ein junges Mädchen. Wahrscheinlich zwischen 19 und 21 Jahre alt. Sie grinste mich an und fragte: „Wie lange bist du schon Faaaaaan?“ –„Naja, ich würde mich nicht unbedingt als Fan bezeichnen…“

Und schon zog sie ihr Shirt über ihren Rücken und präsentierte mir voller Stolz ein überdimensionales Autogramm von Bill Kaulitz. Auf ihrem Rücken!!! TATTOOWIERT!

Die Geschichte dahinter klang genau so wie es sich anfühlt.
Es war ein heißer Sommertag. Bill Kaulitz verewigte sich mit einem Autogramm auf dem Rücken dieser jungen Frau, die doch noch ihr ganzes Leben vor sich hat. Nach dem Konzert fuhr sie völlig aufgeregt in ihrem pinken Opel Corsa ohne Klimaanlage über sechs Stunden straight zum Tattoowierer ihres Vertrauens. Sechs verdammte Stunden lang achtete sie darauf, dass sie die Stuhllehne auf keinen Fall mit ihrem Rücken berührte.

Ist das noch süßes Fantum oder Geistige Verwirrung?

Da fällt mir nichts weiter ein, außer „Alter“.

Sou Boujloud

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