Schöner Schein – scheinbar schön | UNVERBLÜMT

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Sicherlich sind euch solche Menschen auch schon einmal begegnet. Oder vielleicht seid ihr selbst so jemand: eine dieser Persönlichkeiten, denen die Lebensfreude regelrecht aus allen Poren zu sprühen scheint. Es sind diejenigen, die immer gut drauf sind. Sie bringen uns zum Lachen. Trösten uns, wenn wir traurig sind, und geben weise Ratschläge.

Sie schreiten mit einer bemerkenswerten Nonchalance durchs Leben und finden in allem Schlechten eine humorvolle Seite. Wenn wir ganz unten sind, helfen sie uns, die Unerträglichkeit des eigenen Daseins mit positiven Augen zu betrachten. Ihr Humor ist Gold wert. Wir schauen diese Menschen an und denken uns: „Ein schönes Leben, was die da haben.“ Scheinbar.

Schwarzer Humor

Die beste Art, mit tragischen Erlebnissen umzugehen, ist – meiner Meinung nach – Humor. Und zwar schwarzer Humor. Denn wenn man auf vermeintlich schlimme Dinge mit dem Bewusstsein der Absurdität ihrer Existenz blickt, dann gewinnt man die Macht über sie und seine eigene Fassung zurück. Denn ein furchtbares Ereignis ist ja wohl schon scheiße genug. Wir müssen aber da durch. Eine Zeitmaschine gibt es nicht. Und Glücksbärchis leider auch nicht.

Wieso also nicht so damit umgehen, dass wir irgendwie überleben können? Und nichts ist schöner, als etwas, das uns zum Lachen bringt. Lachen ist einfach das Schönste auf dieser Welt. Und eine der wenigen Sprachen, die überall verstanden wird. Mit Lachen bringen wir Freude zum Ausdruck. Ein inneres, wohliges Gefühl, nach dem wir doch alle streben. Lachen ist Liebe.

Niemand überlebt das Leben, warum also so ernst?

Wenn ich gestorben bin, dann wünsche ich mir eine ausgelassene Abschiedsfeier. In der die Gäste heitere Kleidung tragen und über die besonders lustigen Momente meines irdischen Daseins sprechen. Ich will, dass ihr Lachen die schwere Trauer umschließt und einfach davonträgt. Wir werden alle sterben. Das Leben ist bei Zeiten eine riesengroße Kacke, aber uns bleibt nichts anderes übrig, als den schönsten Kackhaufen daraus zu machen, den es nur geben kann. Ich weiß, ich wiederhole mich (sowohl mit der Nutzung von Fäkalsprache als auch Folgendem), aber die Mexikaner machen es vor und feiern, dass es einen Menschen überhaupt gegeben hat, anstatt zu betrauern, dass er fort ist. Denn irgendwann gehen wir doch sowieso alle.

Auge um Auge, …

… Zahn um Zahn. Diesen Spruch findet man in der Bibel. Damit wird beschrieben, dass man andere so behandeln soll, wie man selbst behandelt worden ist. Gleiches mit Gleichem vergelten, sozusagen. Was aber oft unbeachtet bleibt: dass dieser Spruch auch positiv ausgelegt werden kann. Aber in unserem Sprachgebrauch wird dieses biblische Sprichwort nur negativ ausgelegt. Fällt dieser Spruch, geht es oft um Rache. Apropos Rache, es ist wieder Nähkästchenzeit:

Bis zur neunten Klasse war ich das körperlich unterentwickeltste und kleinste Mädchen der Stufe. Ich wurde gehänselt. Über Jahre. Es fing mit meinem Grundschullehrer an, der sich beim alljährlichen Messen darüber lustig machte, dass ich als einzige Schülerin der Klasse in Zeitlupe zu wachsen schien. Auf dem Gymnasium ging es dann einfach weiter. Und das tat verdammt weh. Das hat nur niemand mitbekommen, außer meiner Mutter. Mit jedem Spruch, den ich in der Schule einstecken musste, wuchs meine Klappe. Ich tat so, als pralle alles an mir ab. Als wäre ich „klein, aber oho“. Ich verschaffte mir Respekt, indem ich andere verbal unterbutterte und eine Stärke präsentierte, die gar nicht da war.

Es verging kein Tag, an dem ich nicht schluchzend an Mamas Küchentisch saß. Zunächst war ich nur traurig. Dann hasste ich mich selbst. Ich hasste meine Eltern, weil sie mir diese Gene vererbt hatten. Dann hasste ich die fiesen Mitschüler. Und schließlich schmiedete ich Rachepläne gegen jeden, der mir querkam. Dabei war ich aber kein umherwandelndes Angrybird. Ganz und gar nicht! Sobald ich mein Zuhause verließ, sprühte ich nur vor Lebensfreude. Ich war immer die Lauteste (hat sich bis heute leider nicht geändert), die Schlagfertigste und die Lustigste. Jeder Beleidigung entgegnete ich mit Humor. Innendrin sah es jedoch düster aus. Aber das ließ ich nur zu Hause raus. Meine Mutter war also Zeugin, wie ich mich allmählich zum lächelnden Endgegner der Schule entwickelte.

Wer zuletzt lacht …

Joaquin Phoenix zeigt es uns eindrücklich als aktueller JOKER: Wenn die Seele immerzu malträtiert wird, steht das Opfer irgendwann an der Schwelle, zum Superschurken zu werden. Und – ACHTUNG, SPOILER! – übt an jedem Justiz, der ihm jemals Kummer oder Schmerzen bereitet hat.

Und auch, wenn Regisseur Todd Phillips mit seiner Inszenierung des bekannten Comic-Bösewichts aufgrund der im Film vorherrschenden Sympathisierung und Darstellung roher Gewalt einiges an negativer Kritik einstecken muss, so muss ich doch einräumen: Arthur Fleck war eine tickende Zeitbombe, und die Menschen um ihn herum haben sie gebaut und aktiviert. Und dann sind plötziich alle empört, wenn diese Bombe explodiert? Nur ist jedes Spiel irgendwann zu Ende.

In jedem von uns schlummern Unsicherheiten und dunkle Seiten. Aber die meisten von uns sind Meister darin, diese zu verstecken. Wenn ihr JOKER anseht, achtet bitte darauf, wie Joaquin Phoenix lauthals lachen kann, während seine Augen grenzenlosen Schmerz, Verzweiflung und tiefe Trauer regelrecht herausschreien. Und genau darum geht es hier.

Letzte Woche traf ich einen alten Bekannten, der vor einigen Monaten aus einem anderen Land nach Berlin gezogen ist. Er kam mit der Hoffnung, die Sehnsucht nach dem Glücklichsein stillen zu können. Ich kenne ihn nicht gut genug, aber was ich von ihm weiß, ist, dass er ein sehr freundlicher Typ zu sein scheint. Einer, bei dem man sich nicht vorstellen kann, dass sein Gesicht auch als böse Variante existieren könnte. Aber eben dieser liebenswerte Mann hat die Hölle schon von Innen gesehen. Seit fünf Jahren ist er clean. Er kämpfte sich aus einer schweren Drogensucht in unsere Welt zurück, und diesen Kampf trägt er Tag für Tag für Tag aus.

Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schwierig das alles für ihn sein muss. Unser zunächst banales „What were you up to? Looking great“-Blabla erhielt eine abrupte Wendung, als er mir völlig unvermittelt sagte, dass ihn momentan schlimme Suizidgedanken plagten. Dass er bereits einige Male nachts an der Spree gestanden habe und kurz davor gewesen sei, sich von seinen Gedanken wie „Nobody would notice, so why not ending this life?“ ins Nichtsein schubsen zu lassen.

Meine Antwort mag für euch plump klingen. Ich sagte nämlich: „People would notice. But it would be too late for you to realize it.“ Und dann trank ich einen Schluck von meinem Kaffee und lächelte ihn an. „Life is beautiful. Even at its worst.“

Ich habe keine Ahnung, ob meine Reaktion gut oder schlecht war. Ich bin nicht geübt in so etwas. Ich denke, niemand ist es. Aber das Fatale daran ist, dass wir es sein sollten. Denn Menschen wie ihn gibt es unter uns zuhauf. Wir sehen sie nur nicht, während wir sie sehen. Versteht ihr? Denn sie sind gut im So-tun-als-ob. Und das geht so lange gut, bis der Hilfeschrei laut und leider zu spät ist.

Ob Robin Williams, Heath Ledger, Kurt Cobain und viele andere Persönlichkeiten, die wir kennen: Sie sind da. Um uns herum. Vielleicht ist die Frau neben mir hier im Café auch davon betroffen.

Maske

Wie Elmar in seinem aktuellen Beitrag zum Thema Clowns beschreibt, verstecken sie sich hinter ihrer Maske. Und so tun es auch diese Mitmenschen, die ihr Leid hinter einer lächelnden Fassade verstecken. Mit der Hoffnung oder auch der Angst, dass niemand jemals dahinter steigen könnte.

Wir neigen dazu, in Schubladen zu denken. Wir verurteilen Menschen, noch bevor wir sie kennengelernt haben. Jeder Mensch hat eine Geschichte. Gute und schlechte Erfahrungen. Manche stürzen sich mit voller Absicht in den Abgrund, einige werden hineingeschubst, und wiederum andere werden an einem tiefen, finsteren Ort geboren. Das Ding ist aber, dass wir mit einem Tropfen Freundlichkeit bereits den Tag eines anderen Menschen zum schönsten Tag seit langer Zeit machen können.

Übrigens hielt mich ein enormer und schmerzhafter Wachstumsschub über die Sommerferien davon ab, auf die dunkle Seite zu wechseln. Wenn du unter Depressionen leidest oder Selbstmordgedanken hast, dann such dir bitte Hilfe. Zum Beispiel über  deutsche-depressionshilfe.de.

Liebe.

Sou Boujloud

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