Nebel im August | Interview mit Regisseur Kai Wessel

Nebel im August / Copyright: StudioCanal
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Ob KLEMPERER – EIN LEBEN IN DEUTSCHLAND oder DIE FLUCHT – Regisseur Kai Wessel hat schon einige Geschichten über die NS-Zeit filmisch umgesetzt. In seinem neuen Film NEBEL IM AUGUST erzählt er nun erstmals eine bewegende Geschichte über das NS-Euthanasie-Programm anhand eines Jungen namens Ernst Lossa, gespielt von Ivo Pietzcker, der zur Zeit des Nationalsozialismus als schwer erziehbar eingestuft und in einer “Heil und Pflegeanstalt” interniert wurde. Wir trafen Regisseur Kai Wessel und sprachen mit ihm über die NS-Zeit, wie er auf die Geschichte um Ernst Lossa gestoßen ist, wieviel Aufklärungsarbeit ein Film über die NS-Zeit leisten kann und wie eine Verbindung zwischen der fragwürdigen Eugenik zur heutigen Sterbehilfe gelingt.

Regisseur Kai Wessel mit Sebastian Koch (l.) und Fritzi Haberlandt (r.) / Copyright: StudioCanal
Regisseur Kai Wessel mit Sebastian Koch (l.) und Fritzi Haberlandt (r.) / Copyright: StudioCanal

KAI WESSEL über den Entstehungsprozess

Der Produzent Ulrich Limmer ist vor acht Jahren auf das Buch NEBEL IM AUGUST gestoßen und war überzeugt, dass man diese Geschichte erzählen muss, weil sie eben noch nie erzählt wurde. Er hat Kontakt zu Michael von Cranach aufgenommen, den jetzigen Leiter der Nervenheilanstalt , in der Ernst Lossa umgekommen ist. Michael von Cranach hat in den 1980er Jahren die Klinik übernommen und ist bei seinen Recherchen auch auf Ernst Lossa gestossen. Ulrich Limmer hat sehr lange um die Finanzierung gekämpft, während ich anderthalb Jahre vorher verhältnismäßig spät dazugekommen bin.

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KAI WESSEL über seinen Ansatz

Der Film sollte ein Loblied auf die Fantasie und den Überlebenswillen der Kinder werden und zeigen, dass Fantasie auch in schwierigen und dunklen Zeiten Lebensfreude erzeugen kann, denn wo ein Ball auf der Straße liegt, egal in welchen schwierigen Zeiten, wird mit diesem Ball gespielt und das ist das große Privileg, was Kinder haben und was sie so auszeichnet. Sie haben die große Fähigkeit, Schwieriges für einen Moment ausblenden zu können und auch durch und durch Kind in dunklen Momenten sein zu können. Davon wollte ich erzählen.

Nebel im August / Copyright: StudioCanal
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KAI WESSEL über seine Vorbereitung

Ich habe im Vorfeld sehr viele Zeitzeugenberichte gelesen, die von Dingen erzählt haben, die man sich gar nicht vorstellen kann. Da wurde von den überlebenden Kindern immer wieder berichtet, dass sie die Zeit im Rückblick immer auch als Abenteuer empfunden haben, weil jeden Tag neue Herausforderungen kamen und das ist symptomatisch. Kinder sind viel sorgloser und freier und auch von dieser Diskrepanz wollte ich erzählen.

KAI WESSEL über das Fiktive und Dokumentarische

Die Frage, wieviel Aufklärungsarbeit ein Film leisten kann und wie viel Unterhaltung ein Film braucht, ist sehr subjektiv, aber natürlich auch sehr interessant. Wir haben hier keine Dokumentation vorliegen, auch wenn es stimmt, dass die Dokumentation viel umfassender über eine bestimmte Zeit informieren kann. Was die Dokumentation allerdings nicht kann, ist ein Geschehen sehr sinnlich unter unterschiedlichen Aspekten zu erzählen. Fiktion berührt mehr, bringt mich mehr zum Lachen und Weinen. Allerdings würde ich das nie gegeneinander werten wollen. Beides hat seine Berechtigung und die Fiktion muss meiner Meinung nach verdichten und komprimieren. Wir haben in der Fiktion den Freiraum eine Figur wie den Anstaltsleiter als Sinnbild und Vorbild zu nehmen und ihm noch vielmehr Eigenschaften zu geben, die wir heute über die Umstände in Nervenheilanstalten oder Erfahrungen von anderen Menschen wissen. Das können wir in der Fiktion komprimieren und damit spielen.

Nebel im August / Copyright: StudioCanal
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KAI WESSEL über den Anstaltsleiter, gespielt von Sebastian Koch

Wir haben versucht daraus keine Süßstoffvariante zu machen. Wir wollten den Anstaltsleiter auch nicht Schwarz-Weiß  zeigen und ihn in eine Ecke treiben. Ganz im Gegenteil: Wir wollten mit der Figur des Anstaltsleiters den Zuschauer herausfordern und sich den Thesen stellen. Denn es sind in dieser Zeit nicht alle Menschen als Monster rumgelaufen, sondern es handelte sich zum Teil ja auch um die deutsche Intelligenz, die da mitgemacht hat und die hatten durchaus ihre Gründe. welche nicht nur mit Bequemlichkeit zu tun hatten.

KAI WESSEL über Eugenik

Eugenik ist nichts, was die Nazis erfunden haben, sondern sogar schon in den 1920er Jahren beschäftigte sich die Psychiatrie mit den Fragen. Sie sind aufgebrochen und sagten, sie können den Menschen helfen und hatten damit auch große Erfolge. Bis sie festgestellt haben, dass ihre Wissenschaft auch Grenzen hat und sie nicht alles machen können. Sie stellten sich Fragen wie: Pflegen wir Menschen mit Einschränkungen oder erlösen wir sie von ihrem Leid? Und wenn, wer darf das und aus welchen Gründen? Die Nazis haben das nur weitergeführt und natürlich war das für sie ganz im Sinne ihres nationalistischen Denkens. Sie haben alle gleichgeschaltet und alle Klinikleiter rausgeschmissen, die nicht auf Linie waren und neue Wissenschaftler eingesetzt, die auch Eugeniker waren, wie Sebastian Koch im Film als Anstaltsleiter, und Leute eingesetzt, die von der Rassenlehre überzeugt waren.

Nebel im August / Copyright: StudioCanal
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KAI WESSEL über Filme zur NS-ZEIT

Ob es zu viele Filme zur NS-Zeit gibt, ist eine gute Frage, die ich mir auch immer wieder stelle. Wann hören wir als Zuschauer eigentlich nicht mehr zu, sondern sind nur noch eine elitäre Gruppe? Eine komplett richtige Frage. SOPHIE SCHOLL war für mich der letzte richtige, große Kinoerfolg zum Thema. Im Fernsehen waren es MEINE MÜTTER, MEINE VÄTER, auch wenn es da natürlich auch eine andere Herangehensweise war, eine andere Generation erreicht wurde. Wir als Gesellschaft sollten die Zeit einfach nicht vergessen, um die Toten in Erinnerung zu behalten und auch versuchen zu recherchieren, wie man diese schlimme Zeit nutzen kann, um heutzutage in entscheidenden Fragestellungen ein Beitrag für die eigene Entscheidung und Haltung zu wählen. Denn nie zuvor war ein Land in so kurzer Zeit so zerrüttet und hat sich so verändert und umgekehrt, das mit so einschneidenden Folgen behaftet war. Ich finde es gut, dass wir uns heutzutage fragen, was wir eigentlich aus der Vergangenheit lernen können.

KAI WESSEL über Sterbehilfe heute

Es gibt Fragestellungen in diesem Film, die mich auch heute selbst noch beschäftigen, zum Beispiel das Thema Sterbehilfe. Euthanasie hatte ja mit Mord zu tun, aber was tut man, wenn ein Mensch freiwillig die Sterbehilfe beanspruchen will. Und natürlich hat auch der Anstaltsleiter die Möglichkeit in den medizinischen Grenzen eine Linie zu ziehen und sich zu fragen, wem er helfen kann und wem nicht. Diese Linie zu ziehen ist sehr schwierig. Wo ziehe ich bei der Sterbehilfe die Linie im Vergleich zu den Medizinern von heute? Die Mediziner müssen sich fragen: Diagnostiziere ich das als eine Depression oder verstehe ich den Wunsch eines Menschen zu sterben?

Nebel im August / Copyright: StudioCanal
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KAI WESSEL über die Wirkung seines Films

Ich hoffe sehr, dass sich auch Jugendliche damit identifizieren können. Jugendliche ab 14 Jahren sind meiner Meinung nach heute in der Regel schon so erwachsen, dass es dort große Schnittmengen gibt. Ich hoffe sehr, dass sich Lehrer und Schulen dafür entscheiden anhand der Geschichte von Ernst Lossa einen Teil in den Unterricht miteinzubeziehen und das vielleicht als Katalysator miteinzubeziehen.

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